Physiknobelpreis 1957: Tsung Dao Lee — Chen Ning Yang

Physiknobelpreis 1957: Tsung Dao Lee — Chen Ning Yang
Physiknobelpreis 1957: Tsung Dao Lee — Chen Ning Yang
 
Die Amerikaner chinesischer Herkunft erhielten den Nobelpreis für »ihre Forschungen über die Gesetze der Parität, die zu wichtigen Entdeckungen über die Elementarteilchen führten«.
 
 Biografien
 
Tsung Dao Lee, * Schanghai 25. 11. 1926; seit 1953 Professor für Physik an der Columbia University, seit 1960 am Institute for Advanced Study in Princeton, 1963 Übernahme des Lehrstuhls von Enrico Fermi an der Columbia University; Arbeiten über statistische Mechanik, Hydrodynamik und Feldtheorie, Beteiligung am Bau der ersten chinesischen Atombombe.
 
Chen Ning Yang, * Hefei (Provinz Anhui, China) 22. 9. 1922; seit 1955 Professor am Institute for Advanced Study in Princeton (New Jersey), seit 1966 an der State University New York und Direktor des dortigen Institute of Theoretical Physics, seit 1993 Direktor des Institute of Mathematical Sciences an der Chinese University of Hong Kong; wichtige Beiträge zu nichtabelschen Eichfeldtheorien.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Eines der fundamentalen Prinzipien der Natur ist die Rechts-Links-Symmetrie. Die Entdeckung, dass dieses Prinzip nicht bei allen physikalischen Phänomenen erfüllt ist, wurde von zwei Wissenschaftlern gemacht, die ein ähnliches Schicksal verband. Die beiden aus China stammenden Physiker wanderten infolge des Chinesisch-Japanischen Kriegs (1937-1945) in die USA aus und lernten sich 1946 an der University of Chicago kennen. Chen Ning Yang promovierte dort 1948 in der Kernphysik und wurde für ein Jahr Assistent bei Enrico Fermi (Nobelpreis 1938). Zwei Jahre später absolvierte Tsung Dao Lee ebenfalls in Chicago seine Doktorarbeit mit dem Thema »Der Wasserstoffinhalt der weißen Zwerge«. 1951 trafen sich Lee und Yang am Institute for Advanced Study in Princeton wieder. Dort begann ihre Zusammenarbeit im Bereich der Elementarteilchenphysik.
 
1956 kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass der Paritätserhaltungssatz bei den schwachen Wechselwirkungen verletzt wird. Die Entdeckung, die nur wenig später von der Physikerin Chien-Shiung Wu experimentell bestätigt werden konnte, war von großer physikalischer Bedeutung. In ihrer geistigen Leistung ist sie mit der Relativitätstheorie vergleichbar.
 
 Ist die Natur symmetrisch?
 
Die physikalischen Gesetze beruhen auf den Symmetrieeigenschaften von Raum und Zeit: Sie gelten in gleicher Weise an jedem Punkt des Raums (Homogenität des Raums), in jeder Richtung (Isotropie) und zu jedem Zeitpunkt (Homogenität der Zeit), sei es heute oder in 100 Jahren. Die Symmetrie spiegelt sich in der Physik in den Erhaltungssätzen — so führt beispielsweise die Homogenität der Zeit zum Energieerhaltungssatz. Durch die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik gewannen die Symmetrieeigenschaften neue Bedeutung.
 
Bis 1956 nahm man an, dass sich die physikalischen Gesetze durch eine absolute Symmetrie zwischen rechts und links auszeichnen, während die Asymmetrie zwischen links und rechts, die sich im Alltag zeigt, auf die zufällige Asymmetrie der ursprünglichen Bedingungen der organischen Systeme zurückgeführt wurde.
 
Die räumliche Spiegelsymmetrie führte in der Quantenmechanik zum Paritätserhaltungssatz, zu dessen Entdeckung die Arbeiten von Otto Laporte und Eugene Wigner (Nobelpreis 1963) in den 1920er-Jahren beigetragen haben. Bis zu Lee und Yang nahm man an, dass die Parität in allen Phänomenen erhalten bleibt. Im Frühling 1956 standen die Elementarteilchenphysiker vor dem so genannten Theta-Tau-Puzzle. Es handelte sich dabei um zwei Mesonen (K-Mesonen), die die gleiche Masse und Lebenszeit zu haben scheinen, aber auf verschiedene Weisen zerfallen: Theta zerfällt zu Pi + Pi, Tau zerfällt zu Pi + Pi + Pi. Auffällig war die unterschiedliche Parität des Theta- und des Tau-Mesons. Nach dem Paritätserhaltungssatz sollte aber ein Teilchen trotz der verschiedenen Zerfallsarten die gleiche Parität besitzen. Lee und Yang gaben auf dieses Rätsel eine unerwartete Antwort, die die Welt der Physik in Erstaunen versetzte: Sie schlossen, dass es sich bei dem Theta- und Tau-Meson um dasselbe Teilchen handle, dass jedoch die Paritätserhaltung im Fall der schwachen Wechselwirkungen nicht gelte.
 
 Ein Experiment von weiblichem Raffinement
 
Die experimentelle Bestätigung der Paritätsverletzung wurde Ende 1956 an der Columbia University von einem Team unter der Leitung von Chien Shiung Wu durchgeführt. Sie schlug vor, ein spiegelsymmetrisches Experiment mit polarisierten Kernen von Kobalt durchzuführen, einem radioaktiven Element, das durch schwache Wechselwirkung beta-zerfällt und dabei ein Elektron und ein Neutrino aussendet.
 
Wu beobachtete, ob in zwei spiegelsymmetrischen Richtungen die gleiche Anzahl von Zerfällen stattfindet. Die Probe des radioaktiven Kobalts wurde innerhalb eines Solenoids bei niedrigen Temperaturen untersucht. Da eine wesentliche Schwierigkeit darin bestand, die Störeinflüsse zu beseitigen, musste das Experiment bei 0,01 Kelvin durchgeführt werden. Bei dieser Temperatur ist ein großer Teil der Kerne ausgerichtet. Gemessen wurden die relativen Intensitäten der Elektronen in und entgegen der Feldrichtung. Wu stellte in den entgegengesetzten Richtungen unterschiedliche Ergebnisse fest. Aus der Vorwärts-Rückwärts-Asymmetrie der Elektronenintensität konnte man schließen, dass die Parität bei dieser schwachen Wechselwirkung verletzt wird.
 
 Das unsymmetrische Universum
 
Die Entdeckung von Lee und Yang stellte auch andere Symmetrieeigenschaften infrage. Wie das Experiment von Wu zeigte, sind schwache Wechselwirkungen gegen Ladungskonjugation nicht invariant. Es handelt sich dabei um eine Symmetrietransformation, die das Vorzeichen der Ladung und des magnetischen Moments eines Teilchens umkehrt. In der relativistischen Quantenmechanik beinhaltet die Ladungskonjugation des Weiteren den Austausch von Teilchen und Antiteilchen.
 
Die schwache Wechselwirkung ist weder unter der Ladungskonjugation (C-Konjugation), noch unter der Paritätstransformation (P-Transformation) invariant, besitzt aber eine CP-Invarianz. Nachdem man in den 1960er-Jahren bei den starken und elektromagnetischen Wechselwirkungen keine C-Verletzung festgestellt hatte, wurde angenommen, dass die CP-Invarianz allgemein gültig sei. Die Entdeckung von Lee und Yang warf auch die Frage nach der Invarianz der Prozesse gegen die Zeitumkehrtransformation (T-Invarianz) auf, die bisher als allgemein gültig angesehen wurde. Jedes Phänomen der Elementarteilchenphysik gilt in beiden Zeitrichtungen — wie in einem Film, den man vorwärts oder rückwärts laufen lässt.
 
1957 wurde durch Wolfgang Pauli (Nobelpreis 1945) das 1952 von Gerhart Lüders aufgestellte CPT-Theorem als eins der fundamentalsten Prinzipien der Quantenfeldtheorie verallgemeinert: Es legt fest, dass alle physikalischen Prozesse unter der Folge der drei Transformationen C, P und T invariant sind. 1964 konnte man beim Zerfall der langlebigen, neutralen KL0-Mesonen eine CP-Verletzung feststellen. Infolge des CPT-Theorems wird auch die T-Invarianz verletzt. Diese Asymmetrie konnte bis heute noch nicht erklärt werden. Im Rahmen der Urknalltheorie folgert man, dass die CP- und die T-Verletzung eine große Rolle bei der Entstehung des Universums gespielt haben: Das Weltall hat sich so entwickelt, dass es mehr Materie als Antimaterie gibt.
 
D. Wünsch

Universal-Lexikon. 2012.

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